Seit der Frühzeit des Humanismus hatten antike Weissagungen, Mythen und Orakel eine beträchtliche Rolle bei die Begründung der "Wahrheit der christlichen Religion" gespielt. Die Entwicklung der kritischen Philologie im konfessionellen Zeitalter zeigt jedoch, daß das Wahrheitspostulat in zunehmendem Maße durch eine historische Hermeneutik ersetzt worden ist. Argumente für eine christliche Apologetik waren so kaum noch aus den heidnischen Traditionen, ihrer Mythologie und Kosmologie, zu gewinnen.
Dieser bewußtseinsgeschichtliche Wandel hat auch das Dichtungsverständnis in unterschiedlichsten konfessionellen und intellektuellen Zusammenhängen geformt. Auf der breiten Basis gedruckter und handschriftlicher Quellen, die hier erstmals zugänglich gemacht werden, greift der Autor die hauptsächtlichen Entwicklungslinien auf und rekonstruiert exemplarische Diskussionszusammenhänge innerhalb der europäischen Gelehrtenkultur. Vor dem Hintergrund der am intensivsten in den Vereinigten Niederlanden ausgebildeten philologischen Kritik führt das Buch unter anderem zu einem neuen Verständnis von Martin Opitz' Dichtwerk und gibt Einblick in die kognitiven Voraussetzungen der Poetik des Konvertiten und vatikanischen Bibliothekars Lucas Holstenius in den Jahren um Galileis zweite Verurteilung. Antiquarianismus, Astronomie und Sprachforschung der Zeit werden ebenso berücksichtigt wie die Sozialisation frühneuzeitlicher savants in den "Akademien". Eingehend wird die Interpretationsgeschichte der sibyllinischen Gesänge analysiert und gezeigt, welche Funktion mosaische Kosmologie und die neue Astronomie Keplers innerhalb des Hamburger Gelehrtenzirkels um Barthold Heinrich Brockes und Johann Albert Fabricius am Beginn des 18. Jahrhunderts eingenommen haben.
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