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Als Chiffre des technischen Fortschritts im »Westen« der Welt hat sich neuerdings die Digitalisierung durchgesetzt. Dieses Durchsetzen jenes ausgezeichneten Vorstellungskomplexes »Digitalisierung« in der Verständigung der Gesellschaften über sich, eine Idee, die in den meisten Selbstdeutungen der Gegenwart inzwischen die Position eines »Grundes« einnimmt und sogar neue Verhaltenslehren abzuleiten ermöglicht und unerwünschte abzuweisen, verwandelt die Digitalisierung wiederum. Sie ist dann nichts Technisches mehr, sondern wird zu einer Leitidee, nach welcher sich Gesellschaften tatsächlich ausrichten. Was geschieht in und mit der Gesellschaft, wenn sie den Gedanken und den Prozess der Digitalisierung exklusiv für sich reklamiert und ihn universalisiert? Dieser Frage gehen die Beiträge dieses Bandes nach, aus unterschiedlichen Perspektiven und eher am Phänomen ausgerichtet - ohne den Anspruch, dabei eine in sich schlüssige und einheitliche Theorie der sich verändernden Gesellschaft zu entwerfen. Die Verdoppelung des Daseins in Datensätzen und die Rückkopplung des Imitierten und Simulierten ins analoge Leben hinein - vor allem aber das Schillern der algorithmischen Eigenexistenz, die nicht mehr dem Original entspricht und es trotzdem fortzuentwickeln beginnt, all das zwingt den Einzelnen dazu, sein seelisch und körperlich Erlebtes mit einer Veränderungskraft zu konfrontieren, von der es heißt, sie lasse nichts und niemanden ungeschoren, schon gar nicht die Vorstellungen, in denen die Menschen bisher ihr Leben geführt und geordnet hatten. Die Digitalisierung ist nicht nur ein »objektives«, in Apparaten oder auf Märkten sich abspielendes Geschehen, sondern sie ist genauso eine Anpassungsleistung des Einzelnen. Und keine Instanz, die mit dem Kollektivsubjekt »der Gesellschaft« identisch wäre, ist imstande, ein abschließendes und endgültiges Urteil über den Erfolg der Digitalisierung zu fällen, ob sie im Kern gut oder schlecht sei, ob sie tauge oder ob man sie doch irgendwann wieder vergessen könne.Eine gewichtige Kulturkritik warnte noch vor ihren verderblichen Folgen, während die digitale Technik längst schon selbstverständlich genutzt wurde. Und weder ist diese Kritik inzwischen verstummt, noch hat die Verklärung des Digitalen als ein Menschheitstraum nachgelassen. Individuen, Familien, Gemeinschaften, Institutionen und Teilsysteme der Gesellschaft entscheiden für sich, wie intensiv ihre Nutzung ausfällt - was nicht heißt, dass der Durchsetzungsprozess ergebnisoffen wäre. Mag er stets von ökonomischen, politischen und persönlichen Interessen überlagert sein, als solcher ist der Prozess zu breit und zu vielgestaltig, um aus einem verborgenen Zentrum heraus gesteuert zu werden oder um einer Manipulation mit langem Atem zu unterliegen. In Hinblick auf ihre eigenen Belange ist Gesellschaft nicht formiert. Das kontroverse Geschehen ist die Adaption des Neuen, ist die Veränderung selbst, in zeitlicher Erstreckung und als Spektrum widerstreitender Haltungen. Der epochale Wandel ist deswegen eher ein »Spiel«, wenn auch ein ernstes. An ihm kann, vielleicht auch muss ein jeder mit einer je eigenen Strategie teilnehmen. Und das Spiel kreist um Wahrheit.