Der Schnittpunkt von Literaturwissenschaft und soziologischer Systemtheorie, wie sie maßgeblich von Niklas Luhmann ausgearbeitet wurde, ist bislang ausnahmslos die moderne, d.h. ausdifferenzierte Literatur seit 1800 gewesen. Als notwendige Ergänzung der systemtheoretischen Literaturwissenschaft betreibt die Studie nun erstmals eine Anpassung der Systemtheorie an die strukturell ganz anders gelagerte Poetik Alteuropas zwischen 1600 und 1750 - was vor allem bedeutet, daß das poetologische Material nicht allein immanent rekonstruiert, sondern an einen theoretisch kontrollierten Modernisierungsdiskurs angeschlossen wird. Im Mittelpunkt der Untersuchung steht die hierzu komplementäre Hypothese, daß die vornehmlich als Ereignis beschriebene Ausdifferenzierung des modernen Literatursystems vor dem Hintergrund einer allmählich auf selbsterzeugte Innovationsmöglichkeiten reagierende Poetik vielmehr als semantisch widersprüchlicher und temporal großräumig verlaufender Prozeß gefaßt werden muß, der sich weitgehend parallel zur soziokulturellen Evolution im Übergang zur Moderne vollzieht. In systematischer Hinsicht folgt die Untersuchung dem Umbau zentraler rhetorisch-poetologischer Leitkonzepte wie etwa Stil, Nachahmung und Geschmack. Neben den im engeren Sinne systemtheoretischen Zugriffen auf das semantische Material bemüht sich die Untersuchung - indem sie die Medienbasis wie die Interaktionskontexte des poetologischen Wissens berücksichtigt - um eine Vermittlung von System- und Medientheorie, die gegenwärtig noch immer schwach entwickelt ist.
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