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Es war zu grotesk! Wie versteinert standen Sherlock Holmes und ich da. Auch Lestrade schien – trotz seiner langen Dienstjahre bei Scotland Yard – wie unfähig, etwas zu tun. Der fahle Mond brach sich einen Weg durch die Wolkendecke und gab dem Szenario noch einen grausigeren, unheimlicheren Ausdruck, als die Polizeilaternen es vermochten. "Herr des Himmels!", hauchte ich. "Wer tut so was?" Meine Stimme schien nicht mir zu gehören. Ich vernahm nur Holmes schnaufenden Atem. Den Kopf in den Nacken gelegt, starrte er auf das über drei Meter hohe, rohe Kreuz, an dem nackt der Leichnam von Sir Archibald Orston hing. Ohne Augen, grausig verstümmelt, angenagelt … Kleine Blutbahnen suchten sich den Weg über den rauen Senkrechtbalken und sammelten sich zu einer dunkelroten Pfütze am Fuße des Marterinstrumentes. Das Licht der Blendlaternen warf bizarre Reflexe in das Nass. (Noch heute, viele Jahre danach, wenn ich in meinen Aufzeichnungen lese, wird mir übel.) Holmes räusperte sich. "Wie lange hängt er schon da?" Lestrade hob ein wenig die Arme. "Lady Elenor Orston fand ihn vor etwa drei Stunden." "Dann sind Sie jetzt erst hier?", fragte Holmes merkwürdig berührt. "Na ja", beeilte sich der Inspektor zu sagen. "Erst wurde die Bezirkspolizei benachrichtigt. Bis die Meldung zu mir kam … dann musste ich nach Chelsea raus …" "Schon gut", winkte mein Freund ab. "Bringen Sie mir eine Leiter." "Eine Leiter?" "Nun machen Sie schon, Lestrade. Ich muss mir den Toten näher ansehen." "Wir könnten ihn runter holen." "Eine Leiter!", wurde Sherlock Holmes unwirsch. Es dauerte noch etwas, bis zwei Constable eine lange Holzleiter anschleppten. Sherlock Holmes stieg nach oben und inspizierte wohl eine viertel Stunde lang den Leichnam. Als er herabkam, sagte er: "Diese wüsten Bissspuren, wie von einem Krokodil, die sind sehr merkwürdig." Lestrade nickte eifrig. "Ich sah schon, dass der linke Arm fast abgetrennt ist, und ein Bein sieht schlimm aus." Holmes sah sich um. In diesem Moment vernahmen wir ein Rauschen. Es kam von oben. Unsere Köpfe zuckten zum Himmel, aber wir konnten nichts erkennen. Ich hatte den Eindruck, als sei ein riesenhafter Vogel über das Anwesen geglitten. Sogleich kam mir die mysteriöse Zeitungsmeldung von vor zwei Tagen in den Sinn. Ein Landarbeiter behauptete steif und fest, ein gewaltiger Flugdrache sei in der Dämmerung über ihn hinweggeflogen. Von dem Luftzug der Flügel sei er aus dem Gleichgewicht geworfen worden. Eiskalt lief es mir den Rücken hinunter. Die Verletzungen passten zu der Geschichte. Die Stimme meines Freundes riss mich aus den Gedanken. "Wieso hat niemand etwas bemerkt? Von den Nachbarn? Die Straße dort … Es muss noch fast hell gewesen sein, als es passierte. Das gewaltige Kreuz – das Annageln … es kann nicht so einfach vonstattengegangen sein." Der Inspektor zuckte die Achseln. "Das Hausmädchen hatte frei. Lady Elenor hielt sich bei Bekannten in London auf." "Wo ist das Hausmädchen?" Lestrade deutete zum Haus. "Drinnen. Bei der Lady. Beide sind völlig fertig." Holmes sog die Nachtluft ein. Es wurde kühl. "Stammt das Hausmädchen von hier?" Lestrade schüttelte den Kopf. "Aus Jamaika. Sie ist mit den Orstons herübergekommen. Vor zwei Jahren. Der Sir war Attaché in Jamaika. "Jamaika", dehnte Holmes. "So, so." Er hob den Kopf und schaute noch einmal zu dem Kreuz. Bedrohlich – ja fürchterlich wirkte es gegen den Nachthimmel. "Ich will die Damen sprechen."