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"Selbstverständlich leugne ich nicht die kulturelle Vielfalt und die kulturelle Verwurzelung des Menschen. Nur allzu häufig werden aber Konflikte im Namen von Kultur oder Ethnie geschürt und ich glaube, man kann diese Konflikte entschärfen, indem man sie ‹entkulturalisiert›." (Eduard Kaeser)
Multikulturalismus ist heute medial und politisch omnipräsent. Werte-Pluralisten stehen den Bewahrern ‹westlicher› Werte gegenüber, die diese vorzugsweise gegen islamische zu verteidigen suchen; Analysen von Konflikten zwischen Kulturen rangieren spätestens seit Huntingtons Clash of Civilisations hoch in der Ökonomie publizistischer Aufmerksamkeit. Doch was ist eigentlich Multikulturalismus? Eduard Kaeser nimmt in seinem Essay den Multikulturalismus noch einmal unter die Lupe und stellt Fragen: Was heißt überhaupt Kultur, wenn heute von Kultur in so unterschiedlichen Bedeutungen gesprochen wird wie der östlichen und westlichen Kultur, der Wissenskultur, der Kultur der Gewalt, aber auch der Kultur von Fanclubs und Gangs? Wo ist der Multikulturalismus zu verorten zwischen Realität und Ideologie? Welche Hindernisse stehen dem friedlichen Zusammenleben von Menschen mit unterschiedlichem kulturellem Hintergrund im Wege und wie können diese überwunden werden? Und ist es in einer Welt mit so unterschiedlichen Traditionen, Sitten und Gebräuchen überhaupt möglich, universelle Werte wie Menschenrechte zu begründen und zu verteidigen?
Eduard Kaesers Essay ist ein Plädoyer für eine säkular-liberale Sicht des Menschen und des Staates, mit den Menschenrechten als universalistischem Kern. Kaeser vergisst indes weder die kulturelle Vielfalt der Welt und der modernen westlichen Gesellschaften noch die kulturelle Verwurzelung der Menschen. Der Mensch ist ein lokales Wesen: Das meiste, was wir tun und lassen, ist geprägt von lokaler Sitte. Sie sitzt uns tief unter der Haut. Wenn sich Menschen begegnen, begegnen sich immer auch Sitten und Bräuche, also Normen im weitesten Sinn. Fast alles, was wir tun und lassen, ist durchsetzt von solchen impliziten und expliziten Normen, die dazu neigen, miteinander zu kollidieren. Es ist anspruchsvoll, fremde und zum Teil auch befremdende Sitten, Bräuche und Traditionen wirklich zu verstehen und anzuerkennen. Das ändern auch die makellosesten rationalen Argumente nicht.
Der Universalismus beginnt für Kaeser ganz unten, abseits vom Lärm um Leitkultur. Vielleicht ist die Zeit reif, den Versuch einer Neudefinition des Universalismus zu wagen, und zwar nicht von oben, aus der Sicht von allgemeinen, allen einleuchtenden Prinzipien, sondern von unten, aus der alltäglichen Praxis von Menschen in heutigen heterogenen Gesellschaften, von Menschen, die immer schon interkulturell miteinander ‹zu tun haben›.