Das vorliegende Themenheft engagiert zwei Gruppen von Musikskandalen: Zum einen sticht ein Cluster an klingenden Aufruhr-Momenten aus der Sphäre der Avantgarde hervor; zum anderen kommt eine Reihe von Empörungs-Ereignissen aus der Welt des Rock, Pop und HipHop ans Licht.
In der sogenannten Neuen Musik erhebt sich seit etwa 1905 der Skandal zum Muster eines ästhetisch-"materialen" Fortschritts-Appells. Saalschlachten und mediale Wortgefechte zeugen von zahlreichen Erschütterungen des bürgerlichen Kunstbetriebs im 20. Jahrhunderts und belegen das andauernde Ringen um die Deutungshoheit in Sachen Geschmack, Kennerschaft und Etikette. Die eklatanten Traditionsbrüche seit den Tagen der freien Atonalität und des Expressionismus bereiten den Weg für neue ästhetische Perspektiven und Entfaltungsmöglichkeiten. Aber sie führen gleichzeitig zur Selbstisolierung der Avantgarde, zur Verzwergung hin zu einer Kunst für "Eingeweihte". Mit dem Ende der großen "Erzählungen" (Jean-François Lyotard), konkret: mit dem Auflösen kultureller Verbindlichkeiten nach 1968, scheint auch die Zeit empörender Kammermusik-, Symphonik-, Ballett- und Opern-Uraufführungen verschwunden zu sein.
Anders in der "populären" Musik. Hier ist die Kraft, öffentliche Ärgernisse zu erregen, seit über 70 Jahren präsent und bis heute wirkungsvoll ? schlicht deshalb, weil Pop, Rock und Hip-Hop die Macht der Lyrics und die Wucht visueller Inszenierung provokativer ausschöpfen als die Avantgarde. Zudem ist die Skandalträchtigkeit von Popularmusik aufs Engste mit jugendkulturellen Strömungen und Energien verwoben, bis hin zu Mode und Körperhaltung. Standen seit dem Rock 'n' Roll Reizthemen wie Hedonismus, Sexualität, Emanzipation oder freier Drogenkonsum auf der Tagesordnung, lösen heute Motive wie Sexismus, Schwulenfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus heftige Debatten über die offensive "Taktlosigkeit" verschiedenster Bands oder "Masters of Ceremonies" aus.
Musikskandale irritieren: sowohl in ihrem Drang nach Innovation als auch in ihrem Schwanken zwischen Populärem und Populistischem. Sie markieren "Störfälle" der Moderne. Es wird Zeit, diese im Musikunterricht zu entdecken.
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