Für Theodor Lipps, Wilhelm Dilthey und EdmundHusserl ist die Erfahrung des Anderen eng verbunden mit dem Verstehen der Gefühle des Anderen: Ich mache die Erfahrung des Anderen, indem ich seine Gefühle verstehe. In der theoretischen Analyse der Erfahrung des Anderen stoßen diese Autoren jedoch immer wieder auf ein Problem. Die Erklärung erweist sich als zirkulär, weil sie jede Erfahrung des Anderen zunächst mit einer Wahrnehmung des anderen Körpers beginnen läßt. Erst Max Scheler gelingt mit einer radikalen Abkehr von der traditionellen Annahme eines Primats der inneren Erfahrung vor der äußeren Erfahrung eine plausible Analyse. Für ihn setzt die Erfahrung des Anderen zunächst am psychophysisch indifferenten Ausdruck des Anderen an. Schelers Denken erweist sich als attraktiv, weil es die Bedeutung von Gefühlen auf allen Ebenen der menschlichen Situation erhellt. Er kann zeigen, wie die verschiedenen Formen menschlichen Miteinanders von verschiedenen Gefühlen getragen werden: Gemeinsam geteilte Gefühle bestimmen unser Zusammenleben, lange bevor wir die Erfahrung des Anderen machen. Weil wir die Gefühle der Anderen verstehen, können wir die Erfahrung des Anderen machen. Und im Mitfühlen bzw. Teilnehmen an den Gefühlen der Anderen erfahren wir die Anderen als uns gleichwertig.
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