Die Streitgespräche im Markusevangelium sind kurze Konfliktszenen, literarisch als Apophthegmen anzusehen, in denen Jesus als Hauptdarsteller im Mittelpunkt steht, während andere Gestalten anonym und unscharf bleiben. Obwohl sie polemische Szenen beschreiben, wird Jesus nicht als Streitsüchtiger dargestellt. Er wird im Gegenteil immer angegriffen und muss sich verteidigen. Das Ergebnis ist, dass er dadurch seine Weisheit und seine Unschuld gegen alle Vorwürfe beweisen kann.Die Streitgespräche wirken wie kleine Gerichtsszenen, bei denen die schwerwiegenden Vorwürfe gegen Jesus und die Fragen nach der Bedeutung seiner Person thematisiert werden. Die Gegner versuchen, die Position Jesu gegenüber den religiösen Gesetzen und dem römischen Staat durch ein Crescendo von Fragen und Vorwürfen zu schwächen und damit Gründe für eine Anklage zu finden. Die Argumentationskraft, mit der Jesus die Vorwürfe gegen ihn widerlegen kann, zeigt, dass die Anschuldigungen der Blasphemie und des politischen Aufruhrs gegen die römische Ordnung unbegründet sind. Er wurde wie andere wichtige Gestalten der Antike (z.B. Sokrates) ungerecht hingerichtet. Das Vorkommen der Streitgespräche durch das ganze Markusevangelium hindurch führt dazu, dass dieses als eine apologetische Schrift der Gestalt Jesu wirkt.
Dr. habil. Lorenzo Scornaienchi promovierte an der Universität Heidelberg bei Gerd Theißen.