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Das Ende kommt nicht mit Trompetenschall und Trommelwirbel. Der Krieg ist aus. Einfach so, als sei ein Zug entgleist mit Toten und Verletzten.Keine Bomben mehr. Keine Nächte im Luftschutzkeller. Keine Festnahmen wegen Defätismus. Keine Sondermeldungen. Keine zuhauf unterschriebenen Briefe vom Kompaniechef: Gefallen für Führer und Vaterland, Ihr Sohn ist ein Held. Zum Teufel mit den Strategen, die das Wort Napoleon nur als Marke für Cognac kennen und nicht als Denkmal für den blamabelsten Feldzug aller Zeiten. Die Berichte über die Flucht der napoleonischen Armeen füllen Archive groß wie Fußballfelder. In Russland siegen nicht die Kanonen, in Russland siegen die Läuse. Der Krieg ist aus. Welch eine Veränderung. Welch eine Auferstehung. Welch eine Hoffnung. Wir, die am Leben geblieben sind, entdecken plötzlich die Natur. Wir bewundern ihre Geheimnisse. Wir ertasten ihre Hinweise auf den Ursprung. Wir erforschen die Umwelt. Wir kümmern uns um die kleinen Dinge. Die großen Dinge waren uns zu groß. Der Schmetterling ist ein kleines Ding, das Schneeglöckchen, die Taubenfeder und doch erwecken sie im Herzen den Anhauch innerer Seligkeit. Die Taubenfeder ist ein Nichts und doch ein Symbol für den Frieden. Dem Heimchen unter dem Fußboden einer Krankenstube dröhnt keine Fanfare. Den Löwenzahn am Straßenrand zermalmt nicht die Kesselpauke. Den Fliederstrauch im Park entwurzelt nicht die Zehnzentnerbombe. Die Seejungfer, die sich vom See her in die Stadt verirrt hat, weckt unsere Neugier. Das Insekt bedeutet uns mehr als vordem die Meldung über die Verleihung von Eichenlaub an den Träger eines Ritterkreuzes. Jeder versucht auf seine Art, den Krieg zu vergessen und zur Geborgenheit zurückzukehren. Wir lauschen den Worten der Tante, die das Alpenglühen liebt. Ein Mann dankt dem Regen, der an die Fenster des Büros prasselt, in dem er seiner stupiden Tätigkeit nachgeht. Das ältere Fräulein Kramer fühlt sich nur wohl hinter der Schreibmaschine. Ein Jäger setzt seinen Regenschirm ein als Waffe gegen den Verdruss. Wir sind dem Untergang entkommen. Eine Welle von Dankbarkeit und Entschlossenheit treibt uns voran. Es ist fast wie Glück. Wir räumen die Trümmer auf. Wir schaufeln die Straßen frei. Wir setzen den Ruinen Fenster und Türen ein. Wir flicken das Dach mit Pappe. Wir bürsten den Brandgeruch aus den Kleidern. Wir helfen einander. In jeder Stube haust ein Paar mit Kind, Katze und Vogelbauer. Die neuen Wörter heißen Wohngemeinschaft, Brotmarke, Kohlenklau. Das Wort Kostennutzungsrechnung haben wir noch nicht gespeichert. Tarifkonflikt, Wachstumsprognose, Preiskampf per Mausklick - was ist das? Wir verzichten auf Beifall, Eichenlaub und Schmiergeld. Wir basteln Kochherde und Betten. Wir leimen Tische und Stühle zusammen. Im Winter kuscheln wir in Decken, die wir uns gestohlen haben und die nach Kaserne riechen. Im Radio werden die Nachrichten ohne Marschmusik angesagt. Unsere Sehnsucht nach Geborgenheit stillt das Häuschen im Schrebergarten. Wir bringen unseren Kindern Erdbeeren, Tomaten und Radieschen mit. "Aus dem Massengrab auferstanden". Wer überlebte, war oft lebenslang traumatisiert: Der Soldat Bernhard Schulz wollte den Krieg ebenso wenig wie Millionen anderer Menschen - und hat ihn doch mitgemacht. 1946 schrieb er auf, wie das Erlebte ihn innerlich zerriss. "Wenn diese verdammten Idioten nur Schluss machen wollten", schrieb Bernhard Schulz am 2. April 1945 seiner Gerda. Der Journalist und Schriftsteller (1913-2003), bekannt unter dem Kürzel bezet, hatte den Krieg mehr als satt, er wollte nach Hause, seine Frau und sein Baby im Arm halten, es sollte in diesen Tagen zur Welt kommen. Doch es dauerte noch Monate, bis sich sein Wunsch erfüllte: Schulz geriet in amerikanische Kriegsgefangenschaft, erst im Spätsommer 1945 kehrte er zu seiner Familie nach Osnabrück zurück.