Das Hohelied des Alten Testaments ist eine Liebesdichtung, die von Gut und Böse, auch von Gott nichts weiß. Die christliche Theologie hat die Aneignung dieses Buches voll leidenschaftlichen Verlangens in einem über tausend Jahre währenden Prozeß vollzogen: in einem Kraftakt der radikalen Überwindung seines ursprünglich weltlichen Charakters. Das 12. Jahrhundert ist eine Zeit neuer Frömmigkeit von schöpferischer Frische. Die Unerschöpflichkeit der Gottesliebe wird dieser Zeit zum zentralen religiösen Thema. Diesem Thema hat sich auch der Autor des St. Trudperter Hohenliedes verschrieben, der frühesten rein volkssprachigen, vollständigen Auslegung des Hohenliedes aus dem Mittelalter. In der formkritischen Leseausgabe von Friedrich Ohly wird dieses sprachliche Meisterwerk in seinen Strukturen durchsichtig, zum ersten Mal ist es hier übersetzt und umfassend kommentiert.
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