Durch den Zerfall der großen Imperien des 20. Jahrhunderts entstanden in Mittelosteuropa einige Grenzräume wie Galizien, die Bukowina, das Banat, die Walachei und die ungarische Provinz. Sie zeichneten sich dadurch aus, dass sie für jeweils bestimmte historische Phasen eine gewisse Vielfalt an Ethnien, Religionen und Kulturen bargen, die nebeneinander und auch miteinander existieren konnten, dann aber aufgrund hegemonialgeschichtlicher Entwicklungen zerteilt und neu geprägt wurden. Die Alltagspraxis, die sich hieraus ergab, war zumeist eine konfliktreiche, sie lässt sich aber auch als ein durchaus erprobter (Lebens-)Zusammenhang beschreiben. Karl Schlögel hat von solchen Übergangsräumen als dem "Reichtum Europas" gesprochen: "Sie bringen Kunstwerke zustande, die nur dort möglich sind, wo sich etwas mischt."
Gerade die Kunst und die Literatur erweisen sich als Stätten, an denen sichtbar und erfahrbar wird, was in der politischen Realität unkenntlich gemacht wurde. Ihnen widmen sich die vorliegenden Beiträge, in denen Werke von Jurij Andruchowytsch, Andrzej Stasiuk, Joanna Bator, Maria Matios, Pál Závada, Herta Müller und anderen polnisch-, ukrainisch-, ungarisch- und deutschsprachigen Autorinnen und Autoren analysiert werden, die nach 1989 entstanden und die sich mit dem Phänomen der grenzbestimmten Erfahrung in Mittel- und Osteuropa befassen. Literatur wird dabei zum Ausgangspunkt einer vielschichtigen und notwendig interdisziplinären Auseinandersetzung mit der ebenso abgründigen wie reichen Geschichte und Gegenwart einer dezidiert europäischen Erfahrungswelt.
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