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Sigmund Freud war der wohl scharfsinnigste Analytiker der subjektiven Daseinsbedingungen in der bürgerlichen Gesellschaft. Die von ihm geprägte Psychoanalyse stellt die ausgereifteste Theorie über die Opfer dar, die unsere Gesellschaft den Individuen, die in ihr leben müssen, abfordert. Allerdings hat Freud seine Herangehensweise selbst als eine naturwissenschaftliche verstanden, wodurch die Psychoanalyse zur Anthropologie verkümmerte, wo sie kritische Theorie hätte sein können (Adorno). Der vorliegende Artikel verfolgt die Absicht einer kritischen Rekonstruktion der Psychoanalyse im Hinblick auf den Begriff des Narzissmus. Dieser von Freud selbst geprägte Begriff eignet sich in besonderer Weise dazu, die bürgerliche Subjektform zu charakterisieren. Narzissmus ist das Resultat der Konfrontation des Individuums mit den Versagungen der gesellschaftlichen Realität. Der Begriff bezeichnet die Abwendung von dieser Realität und die Hinwendung in eine innere Welt, in der das Individuum absolute, wenn auch nur imaginierte Macht besitzt. In der Folge kennt die bürgerliche Subjektivität im Grunde nur zwei Zustände: Einerseits das absolute Ohnmachtsgefühl angesichts der Fremdbestimmtheit der eigenen Existenz, andererseits die Allmachtsphantasien mitsamt der Illusion der absoluten individuellen Freiheit, Unabhängigkeit und Unbedingtheit. Letztere fordert allerdings einen hohen Preis, denn sie führt dazu, dass unmittelbar menschliche Beziehungen zurückgedrängt und immer mehr durch versachlichte, geldvermittelte Beziehungen ersetzt werden. Von der eigenen Großartigkeit überzeugt, verdrängt der Narzisst, dass er auf die reale Welt nur wenig Einfluss hat und macht sich selbst vor, alles sein zu können, während in ihm in Wirklichkeit nur ein großes Nichts steckt. Gerade dadurch stellt der Narzisst die kongeniale Subjektform für das Kapital dar, das in seiner end- und ziellosen Verwertungsbewegung ebenfalls nur eine völlige Leere zum Inhalt hat.